Mobbing-Gefahr bewusst im Blick

14.03.2017 CJD Siegen-Wittgenstein « zur Übersicht

Wittgenstein. Mobbing – das scheint ein Phänomen zu sein, das sich in der letzten Zeit leider stark entwickelt hat, auch und gerade an den Schulen. In Wittgenstein ist das Problem offenbar nicht so groß wie in so manchen Großstädten, doch haben viele Schulen in der Region das Thema ganz bewusst im Blick. An der Erndtebrücker Realschule zum Beispiel gibt es für die Schüler eine Anti-Mobbing-AG, geleitet von Schulsozialarbeiterin Ines Kerelaj.

Echte Mobbing-Vorfälle gebe es in den Schulen „eher weniger“, hat sie festgestellt. Aber es ist eben auch ein Vorteil, wenn die Schülerinnen und Schüler das Phänomen kennen – und mit so einer Krisen-Situation umgehen können. Unter anderem sammeln die jungen AGTeilnehmer das Wissen – und tragen es an Mitschüler weiter, berichten in den Klassen über Mobbing.

Schule gibt sich Regeln selbst
„Zunächst ist es wichtig, zwischen den Grundbegriffen ,Mobbing’und ,Konflikt’ zu unterscheiden“, sagt Kerelaj. „Die Definition von Mobbing besagt, dass Handlungen negativer Art gegen einen Mitschüler oder eine Mitschülerin über einen längeren Zeitraum stattfinden“. Dabei bestehe „ein Ungleichgewicht
der Kräfte – sei es die körperliche oder psychische Stärke“.

Aber: Die meisten Auseinandersetzungen an Schulen seien eben „keine massiven Mobbing-Fälle, sondern Streitigkeiten, die sich recht schnell lösen lassen“, weiß Kerelaj aus Erfahrung. „Vereinzelte Mobbing-Fälle werden jedoch in Mitarbeit von Schülern, Eltern und Lehrern schnellstmöglich aufgenommen und bearbeitet.“ Die Schulsozialarbeiterin hat es sich zur Aufgabe gemacht, präventiv, also vorbeugend mit der Thematik Mobbing umzugehen – wie erwähnt in der Anti-Mobbing-AG. Aber auch bei den Sozialkompetenz-Trainings in einzelnen Klassen versucht sie, Schüler für das Thema Mobbing zu sensibilisieren.

Beim CJD Siegen-Wittgenstein in Birkelbach, zu dessen Team Kerelaj gehört, tauscht sich die Schulsozialarbeiterin regelmäßig mit Kolleginnen und Kollegen aus, die an anderen Wittgensteiner Schulen arbeiten. Das sei hilfreich, um den Überblick zu behalten, um vielleicht auch eine andere Sicht der Dinge auf einzelne Fälle und Situationen zu gewinnen.

Um Streitigkeiten oder gar Mobbing unter den Schülern gar nicht erst entstehen zu lassen, hat sich die Erndtebrücker Realschule selbst Regeln gegeben. Regel Nummer eins: „Ich verhalte mich respektvoll. Dies setzt gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Höflichkeit voraus.“ Und wer sich nicht daran hält, muss mit „Konsequenzen“ rechnen: „Ich muss mich in angemessener Form entschuldigen und ggf. Wiedergutmachung leisten. Bei massiven Respektlosigkeiten, Gewalttätigkeiten und Bedrohungen: Ich werde mit sofortiger Wirkung von der laufenden Unterrichtsstunde mit einer Aufgabe ausgeschlossen. Eine Teilnahme am Unterricht ist erst wieder nach einem Gespräch mit dem Fachlehrer/Klassenlehrer oder mit der Schulleitung möglich.“

Und wenn ich als Schüler das verweigere? Werde ich Thema einer Lehrer-Konferenz – und das kann Strafen bedeuten.

Interview


„Niemand soll Angst, Stress oder Ärger haben“


Schulsozialarbeiterin Ines Kerelaj unterstützt Kinder und Jugendliche ebenso wie Eltern und Lehrer

Wittgenstein. Schüler, die im Unterricht stören, und ratlose Lehrer, aber auch spannende AGs für die Jugendlichen rund um Themen wie Streitschlichten oder Selbstbewusstsein – das ist der Alltag von Schulsozialarbeiterin Ines Kerelaj. Was sie dabei erlebt und was sie davon mit nach Hause nimmt, verrät die 30-Jährige im Interview mit unserer Zeitung.

Erst einmal vorweg: Welche Aufgaben hat eine Schulsozialarbeiterin wie Sie?
Ines Kerelaj:  Das Aufgabenfeld der Schulsozialarbeiterin ist sehr weit gefasst – und reicht in meinem Fall von Einzel-Gesprächen mit Schülern, Eltern sowie Lehrern über Sozialkompetenztrainings in einzelnen Klassen bis hin zur Gestaltung und Leitung von AGs – zu Themen wie Anti-Mobbing, Grundlagen des Streitschlichtens, Mädchen, Förderung des Selbstbewusstseins, Einzelförderung – oder die Unterstützung der Lehrkräfte, wenn Schüler den Unterricht stören. Ein weiterer Punkt ist die Antragstellung von Leistungen über das Bildungs- und Teilhabe-Paket.

Das Ziel der Schulsozialarbeit ist, dass sich Kinder an der Schule wohlfühlen und niemand Angst, Stress oder Ärger haben sollte.

Mit welchen Sorgen kommen die Schülerinnen und Schüler noch zu Ihnen? Oder: Mit welchen Themen kommen Sie zu den Schülern?
Die Schülerinnen und Schüler kommen mit sehr unterschiedlichen Themen zu mir. Dabei spielen Probleme im häuslichen Umfeld eine zentrale Rolle. Ebenso sind dies Konflikte mit Mitschülern oder Lehrern. In zahlreichen Fällen werde ich von den jeweiligen Klassenlehrern zu Rate gezogen, da einzelne Schüler massives Störverhalten im Unterricht aufweisen oder teilweise aufgrund von Konzentrationsstörungen und Fehlverhalten nicht in der Lage sind, weiterhin dem Unterricht zu folgen. Dabei kommt dann die Einzelförderung oder das Besprechen des Fehlverhaltens ins Spiel.

Was hat Sie damals überhaupt bewogen, ausgerechnet Schulsozialarbeit zu machen?
Schulsozialarbeit ist ein Feld, das mich bereits während meiner Studienzeit sehr interessiert hat. Nach meinem Studium der Erziehungswissenschaften hat es mich zunächst in verschiedene Wohngruppen verschlagen. Während meiner Arbeit in diesen Regelgruppen wurden immer wieder Konfliktfälle der Bewohner mit jeweiligen Klassenlehrern oder Mitschülern ersichtlich, die ihnen große Sorge bereiteten. Das Bearbeiten dieser Problemfälle sowie die große Bandbreite des eigenständigen Arbeitens, vor allem der beratenden Tätigkeit bewogen mich zu dem Entschluss für die Schulsozialarbeit.

Mal ganz ehrlich: Nimmt man die Sorgen und Nöte der Schüler nicht allzu oft mit nach Hause, gar mit ins Bett?
Ein professionelles Nähe-Distanz-Verhalten spielt in diesem Bereich eine große Rolle. Mit zunehmender Berufserfahrung lernt man, mit diesem Problem zunehmend besser um zu gehen und sich eigene Strategien zuzulegen. Beispielsweise wäre dies in meinem Fall, den jeweiligen Arbeitstag auf dem Nach-Hause-Weg Revue passieren zu lassen und beim Verlassen des Autos damit ab zu schließen. Dies gelingt mal mehr, mal weniger gut.

Oft heißt es: Die eigentlichen Eltern der Kinder und Jugendlichen sind die Lehrer in der Schule. Stimmt das?  Warum ist das so – oder auch nicht?
Ich denke, dass vielen Eltern heutzutage nicht bewusst ist, dass die zentrale Erziehung und Förderung, vor allem die sozial-emotionale, nicht ausschließlich von Lehrern geleistet werden sollte. In meiner Arbeit wird immer wieder deutlich, wie sehr familiäre Konflikte sowie fehlendes sozial-emotionales Fördern der Eltern, negative Auswirkungen auf die schulische Entwicklung der Schüler haben. Somit versuchen Lehrer und Schulsozialarbeiter die emotionale Stabilität der Kinder, soweit wie es ihnen möglich ist, zu kompensieren.

Was raten Sie Eltern heute, wenn es um Erziehungsfragen geht? Haben Sie einfache Tipps für eine gute Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern?
Ein routinierter Familienalltag mit jeweils altersentsprechender konsequenter Grenzsetzung spielt für Kinder und Jugendliche eine zentrale Rolle. Diese fehlende Grenzsetzung führt in vielen Fällen zu einem massiven Störverhalten innerhalb des Unterrichts. Kinder benötigen eine grundsätzliche Sicherheit und
die Gewissheit, sich auf ihre Eltern verlassen zu können. Im Idealfall haben Kinder das Vertrauen, sich mit Problemen aller Art, auch die in der Schule, an ihre Eltern wenden zu können.

Welche Rolle spielen Ihrer Ansicht nach heute noch klassische, christliche Werte im Leben von Kindern und Jugendlichen?
Ich denke, dies lässt sich sehr schwer generalisieren. Sicherlich gibt es heutzutage Gruppen von Kindern und Jugendlichen, denen klassische und christliche Werte durch das Elternhaus vermittelt werden und die ihnen wichtig sind. In dem Großteil meiner Arbeit, erlebe ich jedoch Kinder, denen solche Werte unbekannt sind oder eben eine geringe Rolle einnehmen. Dies wird in der Institution Schule oftmals
versucht zu kompensieren.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie haben Sie selbst eigentlich Ihre Kindheit und Jugend in der eigenen Familie erlebt?
Ich habe eine sehr positive Kindheit und Jugend erlebt und schätze mich sehr glücklich, mit zwei jüngeren Schwestern aufgewachsen sein zu dürfen. Im Bezug auf Schule wurde mir dies aufgrund sprachlicher Barrieren zunächst erschwert – ich bin mit sechs Jahren mit meinen Eltern von meinem Heimatland Slowenien nach Deutschland ausgewandert. Doch ich habe von zahlreichen Lehrkräften große Unterstützung erhalten – und kann mich nun während meiner Arbeit gut in die Probleme von Kindern mit Migrationshintergrund hineinversetzen.

Quelle: Westfalenpost, Ausgabe Wittgenstein
Text und Interview Eberhard Demtröder.

FOTO: OLIVER BERG

Schwerpunkte in der Ausrichtung des CJD Siegen-Wittgenstein sind die Kinder- und Jugendhilfe sowie Maßnahmen im Auftrag der Agentur für Arbeit und des örtlichen Jobcenters.