Junge Flüchtlinge saugen Informationen auf

22.02.2016 CJD Siegen-Wittgenstein « zur Übersicht

Bad Berleburg/Birkelbach. Sie stellen sich auf Deutsch vor. Name, Herkunftsland, Alter. Stolz sind die Jugendlichen auf ihre Deutschkenntnisse. Als Minderjährige sind sie ohne ihre Eltern nach Deutschland geflüchtet. Im Christlichen Jugenddorf (CJD) Birkelbach haben sie eine Bleibe gefunden und werden betreut. Deutschunterricht,  Freizeitprogramme. Einen Nachmittag haben sie am EJOT-Standort Herrenwiese in Berleburg verbracht. Eine interessante Abwechslung.

Sprachkenntnisse vertiefen

Als Geschäftsführer Winfried Schwarz erklärt, wie eine Spezialschraube in die Karosserie eines Audi R8 oder A8 gefügt wird, hören sie gespannt zu. Das ist interessant. Die deutschen Autos kennen sie. Andere Spezialschrauben finden in unterschiedlichsten Bauwerken wie der Hülle des Atomkraftwerks in Tschernobyl oder dem Burj Khalifa, dem höchsten Gebäude der Welt in Dubai Anwendung. In der Fertigung staunen die jungen Flüchtlinge über die vielen Maschinen. Später sagt einer: „Bei EJOT bleibe ich.“ Doch bis dahin ist es ein langer Weg.

Vor einer Ausbildung steht zunächst die Vertiefung der deutschen Sprachkenntnisse als Grundlage für weitere Schulbildung und Berufspraktika. Die Betreuungskräfte des CJD in Birkelbach kümmern sich intensiv um die jungen Menschen. „Aber bei allem, was darüber hinaus geht, fühlt sich keiner so richtig zuständig“, sagt Dominik Rothenpieler, Mitarbeiter im Qualitätsmanagement beim CJD. Es fehle noch an geeigneten staatlichen Fördermaßnahmen und es gebe noch zu viele bürokratische Hürden. Praktische Betätigung für die Jugendlichen sei das A und O. Deshalb habe er auch Kontakt zu EJOT aufgenommen, so Rothenpieler.

Mit dem Besuch bei EJOT können sich die jungen Flüchtlinge einen Eindruck über einen modernen Produktionsablauf in der Industrie verschaffen. Sobald über den derzeit laufenden sogenannten Clearing-Prozess Status und Aufenthalt geklärt seien, werde EJOT weitere Unterstützung leisten, kündigte EJOT-Geschäftsführer Schwarz an. Beim Betriebsrundgang mit Ausbildungsleiter Martin Neutzler saugen die jungen Menschen die Informationen förmlich auf, stellen viele Fragen, wollen wissen, wann und warum eine Schraube brechen kann oder staunen über die vollautomatische Fördertechnik, die Materialflüsse zwischen Lager und Warenausgang optimiert.

Sie haben Furchtbares erlebt

„Ich habe alles verstanden“, freut sich der 16-jährige Mohamed und lacht. Er weiß, dass er viel lernen muss in Deutschland. Allein hat er sich aus Afghanistan nach Deutschland durchgeschlagen. Etwa vier Wochen sei er unterwegs gewesen, zu Fuß, auf Lkw oder in kaputten Schlauchbooten. Kontakt zu seiner Familie habe er nicht. Seine Mutter sei mit seinem zehnjährigen Bruder im Iran. Wo genau? Er weiß es nicht. Sein Vater sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen, seine kleine Schwester von Taliban erschossen worden. Sein eigenes Leben hat er gerettet. Neben ihm steht der 16-jährige Gahys aus Syrien. Auf seinem Handy sieht er die Bilder aus der zerstörten Stadt Aleppo, wo seine Familie lebt. Er schweigt.

Viele der jungen Flüchtlinge im CJD sind traumatisiert und werden psychologisch betreut, gibt Anke Bremmer, Standortkoordinatorin beim CJD in Birkelbach, zu erkennen.  „Sie haben Furchtbares erlebt auf ihrer Flucht.“ In Birkelbach seien sie sicher.

Erlebnisse rauben vielen Flüchtlingen den Schlaf

Einige der jungen Flüchtlinge können abends nur mit Hilfe von Medikamenten einschlafen. Ein junger Syrer, so Anke Bremmer, habe vor einigen Tagen voller Verzweiflung seine Sachen packen und sich auf den Weg zurück nach Syrien machen wollen. Sein kleiner Bruder sei angeschossen worden und an den Folgen der Verletzung gestorben.

Quelle: Westfalenpost – Wittgensteiner Zeitung, Text & Foto Andreas Wolf

Schwerpunkte in der Ausrichtung des CJD Siegen-Wittgenstein sind die Kinder- und Jugendhilfe sowie Maßnahmen im Auftrag der Agentur für Arbeit und des örtlichen Jobcenters.