Ein großer Schritt nach vorne

09.10.2016 CJD Siegen-Wittgenstein « zur Übersicht

Eltern sollen die Möglichkeit erhalten, sich gemeinsam auszutauschen.

Andreas Machenheimer wollte aufräumen. Mit einem Tabu, das längst keines mehr sein sollte: Lernstörungen. „Für viele Menschen kommt es einem Outing gleich, zuzugeben, dass ihr Kind eine Dyskalkulie oder Legasthenie hat. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, erklärte der Lerntherapeut des Christlichen Jugenddorfs (CJD) in Birkelbach gestern. Seit mittlerweile sechs Jahren hilft die Einrichtung betroffenen Menschen – und will nun auch den Eltern eine Stütze sein. Daher unternahm das CJD gestern den Versuch, einen Runden Tisch zum Thema Lernstörungen aus der Taufe zu heben.

„Der Bedarf einer Lerntherapie wird immer größer, gerade deshalb ist dieses Angebot wirklich wichtig“, erklärte AnkeBremmer. Die Standortleiterin wusste um die Relevanz der Thematik und zugleich die Scham, die sich für Betroffene und ihre Familien daraus ergibt. Denn: Es sind vermeintlich einfache Vorgänge, die die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht bewältigen können. „Meine Tochter hat Probleme damit, grundlegende Rechnungen zu lösen – multiplizieren, dividieren, addieren und subtrahieren stellen ein Problem dar“, berichtete ein Vater im Wiesenhaus des CJD. Eine Tatsache, von der nicht nur sein Kind betroffen ist, sondern das typisch für Menschen mit Dyskalkulie ist.

Die Arbeit der CJD-Lerntherapeuten Andreas Machenheimer, Silke Boshof und des Auszubildenden Christian Schröder setzt daher vor allem auf häufige Wiederholung – und Erfolg. „Wir setzen nicht bei negativen Erlebnissen an, sondern knüpfen an die vorhandenen Fähigkeitenan. Auf diese Weise erarbeiten wir mit den Kindern neue Erfolge“, erklärte Andreas Machenheimer. Es ist ein Lernen durch Spaß und auf spielerische Art und Weise. Eine Methode, die Erfolg verspricht und in der Vergangenheit erfolgreich war. Einmal wöchentlich arbeiten die Lerntherapeuten mit den Betroffenen– der jüngste ist acht, der älteste 24 Jahre alt – jeweils eine Stunde lang zusammen.

„In der übrigen Zeit muss man die Kinder– neben dem Schulalltag – auch Kinder sein lassen“, wusste Andreas Machenheimer, der vor jeder Stunde das Konzentrationsvermögen der Teilnehmer auslotet. Wie sich eine Stunde gestaltet, hängt vom Aufnahmevermögen der Kinder ab. „Es kann vorkommen, dass wir beispielsweise mit den Kindern, die Dyskalkulie haben, nach draußen in den Wald oder auf die Wiese gehen – dort sammeln wir dann etwa eine bestimmte Anzahl von Blumen oder Steinen“, berichtete der Lerntherapeut. Für die Legastheniker wiederum halten die Lerntherapeuten indes unter anderem ein Spielbereit, das an das Spiel „Twister“ angelehnt ist – anstatt Körperteile allerdings auf eine bestimmte Farbe zu stellen, sind es im CJD Buchstaben. Der Spaßfaktor ist dabei gleichsam groß zum Lernfaktor.

Durch die Arbeit mit den Lerntherapeuten erhalten die Kinder zudem neues Selbstvertrauen. Dies wiederum wollen die Verantwortlichen auch den Eltern vermitteln – solchen, deren Kinder bereits dabei sind, aber auch solchen, die noch nicht in der Maßnahme sind. „Plätze für weitere Fälle gibt es bei uns noch“, berichtete Anke Bremmer. Sollte sich der Runde Tisch etablieren, wäre zugleich eine Plattform geschaffen, mittels der Eltern in einen Dialog treten können, um dabei in einem unbefangenen Rahmen ihre Erfahrungswerte auszutauschen. Ob diese Bühne zur Institution wird, entscheidet sich im Verlauf der kommenden Wochen. Ein echter Gewinn wäre er allemal. Und ein großer Schritt, um mit einem Tabuthema endgültig aufzuräumen.

Text und Foto: Timo Karl
Quelle: Siegener Zeitung

Schwerpunkte in der Ausrichtung des CJD Siegen-Wittgenstein sind die Kinder- und Jugendhilfe sowie Maßnahmen im Auftrag der Agentur für Arbeit und des örtlichen Jobcenters.