Gemeinsam gegen die Einsamkeit

10.01.2016 CJD Siegen-Wittgenstein « zur Übersicht

„Die Kinder sollen es so schön wie möglich in ihrer schwierigen Situation haben“, erzählt CJD-Einrichtungsleiterin Anke Bremmer.

Es gibt Tage, an denen niemand allein sein möchte. Tage, an denen die Sehnsucht nach Gemeinschaft groß ist. Tage, an denen die Familie alles ist, was zählt. Heiligabend ist genau dies – ein Fest der Besinnung, Weihnachten eine Zeit der Freude. Doch wenn familiäre Strukturen zerfallen, bleibt nicht viel. „Bei uns ist Weihnachten niemand allein. Jeder wird mit seinen Belangen aufgefangen“, erzählt Anke Bremmer. Die Einrichtungsleiterin des Christlichen Jugenddorfs (CJD) in Birkelbach kennt die Geschichten der Zweifel und der Traurigkeit an Weihnachten zu gut, denn viele der rund 70 Bewohner sehen ihre Familien heute Abend nicht.

„Manche Bewohner fahren nach Hause, doch das Gros bleibt. Ihre Familien dürften theoretisch zu Besuch kommen, doch bisher hat noch nie jemand für Heiligabend angefragt“, berichtet Anke Bremmer. Es klingt nach einer traurigen Weihnachtsgeschichte, die sich Jahr für Jahr in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen im CJD abspielen muss, doch im Verlauf der Jahre lernen sie damit umzugehen.

„Wir vermitteln den Kindern und Jugendlichen immer wieder, dass es vollkommen in Ordnung ist, traurig zu sein. Und unsere Mitarbeiter sind da, um die Bewohner emotional aufzufangen, wenn es nötig ist. Gefühlsausbrüche, die ob der persönlichen Situation entstehen, sind natürlich Alltag. Doch gerade an Weihnachten kann dies besonders extrem sein – vor allem dann, wenn möglicherweise noch Geschwister zu Hause sind. Es ist dann gerade Kindern im CJD schwierig zu vermitteln, warum sie nicht dort sein dürfen“, erklärt die Standortkoordinatorin. Die Mitarbeiter erledigen ihre Arbeit jedoch mit viel Herzblut – und schaffen eine familiäre Atmosphäre. Denn trotz der geografischen – und möglicherweise auch emotionalen – Distanz zu ihren Familien, feiern die CJD-Bewohner in ihren Häusern Weihnachten. Gemeinsam mit jeweils zwei Mitarbeitern haben sie den heutigen Heiligabend in der „Villa Paletti“, im Haus „Castle“, im Wiesenhaus, im Haus „In Between“ sowie in der Mädchen- und der Kindergruppe vorbereitet. „Bereits ab Anfang Dezember planen die einzelnen Häuser, wie sie den heiligen Abend verbringen und das Weihnachtsfest feiern wollen. Die Kinder und Jugendlichen werden dabei bewusst mit einbezogen“, erzählt Anke Bremmer. Gemeinsam schmücken sie ihre Häuser, öffnen die Weihnachtsbäckerei, dekorieren den Weihnachtsbaum und bereiten sich auf das große Fest vor. „Jedes Haus plant anders, jedes Haus plant individuell. Wichtig ist dabei, dass familienähnlich gefeiert wird. Die einen machen Raclette, die anderen Würstchen und Kartoffelsalat, wieder andere planen ein großes Festessen an Heiligabend, das die anderen wiederum am 1. oder 2. Weihnachtsfeiertag haben könnten. Es wird so gefeiert, wie es unsere Mitarbeiter von zu Hause kennen. Das Schöne ist, dass die Freiheit zur Gestaltung besteht. Die Kinder sollen es so schön wie möglich in ihrer schwierigen Situation haben. Das gilt auch für Silvester, das gleichsam geplant wird“, berichtet Anke Bremmer über die Planungen mit Liebe zum Detail.

Es ist ein schmaler Grat zwischen lockerer Atmosphäre und bedrückender Stimmung, den die Mitarbeiter gehen müssen, doch die Gemeinschaft fängt die Kinder und Jugendlichen auf. Spielen, reden, lachen und eine gemeinsame Bescherung sollen das Weihnachtsfest möglichst normal für die Bewohner machen, auf die unter dem Weihnachtsbaum auch Geschenke warten. „Das Jugendamt stellt pro Kopf 55 Euro für Geschenke zur Verfügung. Unsere Mitarbeiter organisieren die Wünsche dann. Manche Bewohner erhalten zudem Geschenke von ihren Eltern – andere nicht“, erzählt die Einrichtungsleiterin vielsagend. In diesem Jahr gab es zudem eine Geschenkaktion für die CJD-Bewohner in Erndtebrück – alle Wünsche sind in Erfüllung gegangen.

Es ist ein Weihnachtsfest, das einem Familienfest möglichst nahekommen soll – im Hinblick auf Gemeinschaft, aber auch auf den Konsum. Eine Tatsache, für die Anke Bremmer die Bewohner sensibilisiert. „Man muss den Kindern vermitteln, dass die Werbung das Weihnachtsfest instrumentalisiert. Wenn man die biblische Weihnachtsgeschichte liest, merkt man schnell, dass diese nichts mit Besinnlichkeit gemein hat. Die damalige Zeit war politisch heikel, es herrschte das normale Leben. Das dürfen wir nicht vergessen – und dennoch: wir machen uns eine schöne Zeit im CJD, die Gemeinschaft steht im Vordergrund“, konstatiert die Standortkoordinatorin.

Diese Gemeinschaft leben auch die Mitarbeiter vor, die an Weihnachten im Dienst sind. „Die Mitarbeiter, die während der Festtage arbeiten, sind meist im 24-Stunden-Dienst da. Dies bedeutet, dass sie auch im CJD schlafen. Viele von ihnen machen das sogar gern, denn es ist eine andere, eine besondere Art, Weihnachten zu feiern und dennoch traditionell. Und es ist eine andere Art zu arbeiten“, erklärt Anke Bremmer. Denn an Weihnachten blicken weder die Bewohner noch ihre Betreuer allzu oft auf die Uhr. „Man lernt die Kinder und Jugendlichen von einer anderen Seite kennen, von einer persönlicheren. Man nimmt sich Zeit füreinander und kommt ins Gespräch“, erzählt die Einrichtungsleiterin. Und darauf kommt es an – an Tagen, an denen niemand allein sein möchte. An Tagen, an denen die Sehnsucht nach Gemeinschaft groß ist. An Tagen, an denen die Familie fehlt. An Tagen wie heute.

Quelle: Siegener Zeitung, Ausgabe Wittgenstein, 24.12.2015 Text: Timo Karl Fotos: Timo Karl (2), CJD (1)

Schwerpunkte in der Ausrichtung des CJD Siegen-Wittgenstein sind die Kinder- und Jugendhilfe sowie Maßnahmen im Auftrag der Agentur für Arbeit und des örtlichen Jobcenters.